Guangzhou und die Kantonesische Küche

Wie schon kurz angedeutet, bin ich gestern in Kanton (Guangzhou) angekommen, nach 15-stündiger Fahrt für vielleicht 600 km Strecke im Nachtzug – wirklich eilig hat es die chinesische Bahn also nicht.

In ein Hotel eingecheckt habe ich dann auf Shamian Island, einer kleinen Insel vor dem Stadtzentrum im Perlfluß. Dieses kleine Schmuckstück, das man in vielleicht 20 Gehminuten einmal komplett umrunden kann, ist so etwas wie ein Freilichtmuseum für Kolonialarchitektur, da es Mitte des 19. Jahrhunderts von den Briten besetzt und in ein kleines Europa verwandelt wurde, es auch bis Gründung der Volksrepublik China in europäischer Hand blieb.

Es gibt hier ein ehemaliges deutsches Konsulat, ein amerikanisches Konsulat, wo sich ausreisewillige Chinesen den ganzen Tag lang die Beine in den Bauch stehen, eine Kirche, altehrwürdige britische Clubs, und jede Menge anderer Hotels und sonstiger Gebäude im Kolonialstil. Leider sind viele Häuser schon recht verfallen, trotzdem kann man noch überall den Charme der vergangenen Zeit spüren und sich ein wenig wie ein Kolonialherr fühlen, gerade wenn man eben in einem solchen Hotel wohnt.

Besonders spürbar wird der Gegensatz dann, wenn man über die Brücke von der Insel in die Innenstadt von Guangzhou wechselt, wo man als erstes auf den Qingping-Markt wechselt, der dann zum ersten Mal auf meiner Chinareise genau das bietet, was man sich unter einem echten chinesischen Markt und der dazugehörigen Küche vorstellt. Beim Betreten des Marktes, der sich durch ein enges Gassengewirr zieht, beginnt es mit allerhand Kräutern, Baumrinden, Pilzen und sonstigen Pflanzenteilen noch recht harmlos, dann wird es aber recht bald sehr makaber, wenn man an Badewannen voller Skorpione, Käfern und Würmern, halb verhungerten und in engen Käfigen eingepferrchten Katzen und Hunden („Hundereis“ bspw. ist ja eine lokale Delikatesse, dazu läßt man einen halb verhungerten Hund eine Menge Reis hinunterschlingen, schlachtet dann den Hund, und ißt den magensauren, leicht vorverdauten Reis aus dem Magen heraus), die vielen Aquarien mit den Unmengen Fisch und sonstigen Meerestieren sind fast noch nett anzusehen, es gibt käfigweise Hühner und Eulen, und überall vegetieren in kleinen Kisten in der brütenden Mittagshitze Schildkröten ihrem Tod endgegen. Dazwischen gibt es dann alle paar Meter eine schmierige Straßenküche, in der ein Koch den Einheimischen Essen serviert.

Ich würde mich aber echt hüten, dort jemals etwas zu essen, denn das ist echt schmierig dort, und nachts kriechen riesige Schaben und Kakerlaken durch den vom Markt liegengebliebenen Müll. Auch nichts für schwache Nerven.

Wenn man aus dem Qingping-Markt hinausgeht, kommt man in das „normale“ Geschäftsviertel der Stadt. Wobei ein chinesisches Ladengeschäft in der Regel so funktioniert: Man besorge sich einen garagengroßen Geschäftsraum, der vorne offen ist und nach Geschäftsschluß mit einem Rolltor verschlossen werden kann. Hinein stelle man dann so viele Regale wie nur irgend möglich, welche man dann bis zum Brechen mit Waren einer bestimmten Art füllt, z. B. Schrauben, Heizungsrohre, Tresore, Papierrollen, DVD-Spieler, oder was auch immer einem einfällt. Zwischendrin muß allerdings noch für genau drei Leute Platz bleiben. Einer davon schläft immer den ganzen Tag auf der Kasse, und die beiden anderen spielen den ganzen Tag Karten oder Mahjong.

So einfach funkioniert also das chinesische Wirtschaftswunder, wer hätte das gedacht?! ;-)

Diese Art von Geschäften zieht sich dann durch die komplette Innenstadt, Abwechslung, Interessantes, oder Skuriles gibt es wenig.

Wenn man dann noch etwas weiter nördlich geht, gelangt man zu den ganz wenigen (und uninteressanten) touristischen Punkten von Kanton, es gibt ein paar kleine Tempel, die Dr.-Sun-Yat-sen-Halle, eine Konzerthalle zu Ehren des chinesischen Revolutioniärs, ein Dr.-Sun-Yat-sen-Denkmal auf einem Hügel, und eine ziemlich häßliche Ziegen-Statue. Und das war es dann auch schon.

Eine kleine Besonderheit gibt es in Guangzhou noch, man ist als Europäer geradezu unsichtbar und kann unbehelligt durch die Stadt laufen. Kein Händler stürzt auf einen ein, fast niemand schaut einem mit großen Augen hinterher, niemand ruft einem aus irgendwelchen Winkeln ein deutsches „Hallo“ zu (ein englisches „Hello“ scheinen die Chinesen nicht aussprechen zu können), und niemand will dein Freund werden und dich ins Teehaus führen. Nach Tagen der Belagerung ist das ein fast schon himmlischer Zustand. Ich weiß jetzt, wie man sich als Popstar fühlen muß! ;-)

Gestern Abend hatte ich dann noch beschlossen, mutig zu sein, und die berühmt-berüchtigte kantonesische Küche zu testen. Im Gegensatz zum kulinarisch eher harmlosen Restchina wird hier ja tatsächlich alles gegessen, was nicht schnell genug weglaufen kann.

Natürlich habe ich mir dafür nicht eine der oben beschriebenen Straßenküchen ausgesucht, sondern ein schickes Nobelrestaurant neben meinem Hotel hier auf Shamian Island. Im Eingangsbereich gab es dort bestimmt 40 Aquarien mit den verschiedensten Fischen und Meerestieren, die man in Ruhe begutachten konnte. Danach wird man zum Platz geführt, und man bekommt die Speisekarte vorgelegt.

Ganz oben auf der Empfehlungsliste standen diverse Haifischflossen-Gerichte, damit habe ich aber ein ethisches Problem, da ich nicht mag, wie die Tiere gefangen, ihrer Flossen beraubt und zum Sterben verurteilt ins Meer zurückgestoßen werden. Auf Hummer oder Krabben hatte ich nicht so Lust, außerdem kennt man die ja schon, ebenso wie die Austern. Die beiden Schildkröten fand ich ganz niedlich, die mochte ich nicht essen, und vor den Fröschen und den Schlangen war ich dann doch irgendwie fies vor, da hab ich micht nicht getraut. Also fiel meine Wahl auf die Seidenraupen und den „Mudeel“, was ich auch schon sehr mutig von mir fand, da der ebenso wie die Raupen noch sehr lebendig war und ein Aal ja auch schon fast so etwas wie eine Schlange ist. Dazu wurde mir aus der Gemüsetheke Bohnen mit Pilzen empfohlen.

Und das Resultat, das die Kellner mir dann nach und nach an den Tisch brachten, war überaus positiv überraschend! Besonders die gebratenen Seidenraupen! Wenn man sich einmal überwunden hat, die in den Mund zu nehmen, wird man von einem sehr delikaten Geschmack verwöhnt. Die Hüllen sind fest und kräcken ganz leicht zwischen den den Zähnen, das Fleisch ist überaus zart und zergeht sehr leicht im Mund, abgerundet wurde das Ganze durch eine leicht scharfe Würzung. Wirklich empfehlenswert, auch sich mancher jetzt vielleicht schütteln mag!

Der Aal war vielleicht ein wenig fettig, aber so ist das bei Aal halt nun mal, aber auch sehr lecker, ebenso wie das Gemüse. Kostenpunkt für das gesamte Menü inklusive drei Tsingtao-Bieren: ca. 12 Euro.

Mal schauen, vielleicht traue ich mich heute Abend ja noch mehr. :-)

Ich werde berichten, jetzt gehe ich erstmal nach gefälschten Markenklamotten schauen, dafür ist Kanton ja auch berühmt.

2 Antworten Subscribe to comments


  1. Christian

    Oh Mann, wenn du so weiter machst, wirst du nie wieder mit mir zum hiesigen 08/15-Chinesen wollen. :-) Viel Spaß noch!

    16.06.2005 @ 17:44


  2. didi

    Deine Beschreibungen und Tagesberichte sind immer wieder klasse und interessant zu lesen.
    Ich war mittlerweile auch drei mal in China und kann mich immer wieder in Deine Lage versetzen :-)

    Sehr interessant… Ich bin gespannt, wann der nächste China Trip folgt.

    :-)

    Viel SPaß weiterhin

    23.04.2007 @ 15:46


  3. Peter Brakhoff

    Schade dass dein begrenzter Horizont dir viele Einblicke in Guangzhou verwehrt. Das Essen ist gewöhnungsbedürftig für Europäer, aber wenn man weiss, wo man hingehen soll, dann bekommt man für einen „Spottpreis“ leckerste Gerichte serviert.
    Ich war z.B. in 2 Restaurants, die wirklich gutes Essen mit einem Guten Service lieferten und der Preis war gut.
    Wenn man natürlich aus Angst nur die Touri-Klitschen besucht, wird man auch essen müssen, was die Cantonesen für die Touries übriglassen.
    Viele Dinge, die du schreibst stimmen natürlich, aber das ist eine sehr eingeschränkte negative Berichterstattung.
    Liebe Grüße
    Peter

    22.06.2009 @ 06:53


  4. Johannes

    Hallo Peter,
    der Bericht ist eigentlich gar nicht negativ gemeint! Ich hatte eine sehr gute und eine der interessantesten Zeiten meines Lebens in China! Auch das Essen fand ich sehr gut dort – vom chinesischen Frühstück vielleicht mal abgesehen. Habe mich auch durch fast alles durchprobiert, was ich finden konnte! Sofern es einigermaßen appetitlich aussah natürlich… ;-)

    Ich war damals auch allein, auf eigene Faust, ohne große Planung und nur mit einem Touristenführer und einem Rückflugticket bewaffnet unterwegs. Und oft (nicht immer!) bin ich bei den Chinesen dann in einem Raster „alleinreisender Ausländer mit Kamera, irgendwie Geld von dem bekommen, notfalls über den Tisch ziehen“ gelandet. Das schränkt den Horizont und den Zugang zu seiner Umgebung in dem Moment natürlich etwas ein, und macht die Chinesen in dem Moment zumindest sehr ambivalent – daher vielleicht die ein oder andere negative Schwingung. Man ist dann gerade einfach in der Rolle „Tourist“, auch wenn man vielleicht nicht will.

    Trotzdem habe ich auch so viele schöne Sachen erlebt, daß ich jederzeit wieder dorthin fahren würde.

    Vlg,
    Johannes

    22.06.2009 @ 08:56


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